Schüler spielen als Statisten im Stück „Die blaue Donau“
Das brüllende Singen von Naziliedern fiel anfangs gar nicht leicht.
Kurze, schrille Pfiffe aus der Trillerpfeife ertönen von der Bühne des Regensburger Stadttheaters. Wir Kinder marschieren wie Soldaten in Reih und Glied genau nach dem Pfeifrhythmus, den unser „Lehrer“ vorgibt, nach vorne. Wir spielen in dem Stück „Die blaue Donau“ eine Schulklasse in der Hitlerzeit und machen gerade einen Wandertag.
Wir sind alle gleich angezogen, weiße Blusen oder Hemden, weiße Röcke oder weiße kurze Hosen, weiße Socken, braune Schuhe, braune Krawatten. Die Buben tragen das Haar ordentlich gescheitelt, die Mädchen haben zwei Zöpfe. Auf Kommando drehen wir uns gleichzeitig zu unserem Lehrer hin und erheben die Hand zum Hitlergruß. Dann stimmen wir laut ein Nazilied an, in dem die Juden verspottet werden. Unser Lehrer schickt uns auf die Donauinsel, wo die Familie Fischer Rettich anbaut. Herr Fischer hat schlecht über die Nazis gesprochen und den Anführer sogar geohrfeigt. Deshalb musste er fliehen.
Überflutet von der Donau
Wir Schulkinder werden von unserem nazitreuen Lehrer aufgefordert, die Beete auf der Insel zu zertreten, um die Familie zu ruinieren. Doch mitten in der schönsten Zerstörungsaktion überschwemmt die Donau plötzlich die ganze Insel. Viele von uns „ertrinken“ in den Fluten, nur wenige können sich retten. Das Wasser wird auf der Bühne durch große, blaue Tücher dargestellt, die durch Gebläse immer in Bewegung sind und wie echte Wellen aussehen. Die „Ertrunkenen“ bleiben unter den blauen Tüchern regungslos liegen. Dann fällt der Vorhang zur Pause und unser Auftritt ist zu Ende.
Als wir von der Möglichkeit erfuhren, im richtigen Theater als Statisten mitzuspielen, meldeten sich viele. Die meisten gaben als Grund an, dass sie Spaß am Theaterspielen haben und neue Erfahrungen sammeln wollten. Bei manchem spielte vielleicht auch das Geld eine Rolle, das die Statisten verdienen (15 Euro pro Aufführung).
Konzentration auf Natürlichkeit
Schulkinder wie kleine Soldaten
Kein Wunder, denn aus dem richtigen Leben kennen wir das nicht! In der Hitlerzeit mussten Schulkinder wie kleine Soldaten sein. Wir wurden belehrt, dass der Hitlergruß und die Nazilieder ausschließlich für die Bühnenauftritte gelten. Wenn sich einer von uns nicht daran halte, bekomme er sofort Spielverbot.
Interessant war, echte Schauspieler bei der Arbeit zu beobachten. Erstaunlich, wie viel Text sich die Profis merken können. Fast allen von uns hat die Rolle der „Donau“ – dargestellt von einer Schauspielerin – besonders gut gefallen. Ihr gelingt es, als Mensch einen Fluss perfekt zu verkörpern. Aber auch die Leute auf der Insel und die Nazidarsteller haben uns beeindruckt. Alle Statisten unserer Klasse finden, dass unser Theaterabenteuer viel Spaß gemacht hat. Wir würden bei nächster Gelegenheit wieder mitmachen.
Artikel 17. Juli 2008 Mittelbayerische Zeitung, Fotos Bernhard Frahsek